Die Kartoffel und die Züchtung

6. Welche Bedeutung hat die Gentechnik für den Zuchtfortschritt bei Kartoffeln?

In allen drei Phasen der Sortenzüchtung (s. Frage 3) eröffnen biotechnologische und gentechnische Verfahren dem Kartoffelzüchter neue und kürzere Wege zu Sorten mit besseren und zum Teil auch anderen Werteigenschaften, die die Kartoffel bislang noch nicht besitzt. Folgende biotechnologische Methoden werden in der Kartoffelzüchtung eingesetzt:

  1. Protoplastenregeneration und -fusion: Die erste Regeneration von Kartoffelpflanzen aus Ein-zelzellen (von der Zellwand befreite Protoplasten) gelang 1977 in den USA mit der Sorte Russet Burbank. Eine Verschmelzung von Protoplasten von Tomate und Kartoffel zu einer neuen Pflanzenart, der "Tomoffel" führte 1978 der Tübinger Professor G. Melchers durch. Diese erste somatische Hybride erlangte allerdings keine praktische Bedeutung, da sie außerhalb des Labors nicht lebensfähig war. An den "Tomoffel-Pflanzen" entwickelten sich weder Tomaten noch Kartoffeln. 1994 gelang es K. Okumara, durch Fusion von Protoplasten der Kulturkartoffel und der Wildtomate, die Resistenz der Tomate gegen die bakterielle Naßfäule auf die Kartoffel zu übertragen, und aus den Fusionsprodukten wieder ertragsfähige Kartoffelpflanzen zu regenerieren, deren Knollen nicht mehr so leicht faulen. Auch aus der Protoplastenverschmelzung von Zellen aus Wildkartoffeln und Kultursorten sind Verbesserungen der Krankheits- und Schädlingsresistenz zu erwarten (s. Kap. 2, Frage 2).
  2. Erzeugung haploider Pflanzen: Die Kartoffelsorten sind "autotetraploid", d.h., sie besitzen vier gleiche Chromosomensätze, und hochgradig heterozygot (mischerbig), was zur Folge hat, dass sie bei Kreuzungen "hoffnungslos" aufspalten. Damit Resistenzgene, die häufig rezessiv sind, auch die entsprechenden Resistenzeigenschaften in der Pflanze entwickeln, müßte jedes dieser Gene an der gleichen Stelle in allen vier Chromosomensätzen stehen. Da dieser Fall nur sehr selten eintritt, ist es sinnvoll, Pflanzen mit nur einem Chromosomensatz (Haploide) zu erzeugen und diese dann durch Colchizinbehandlung* zu Dihaploiden aufzuregulieren. Diese Pflanzen sind homozygot (reinerbig). Das gelingt mit der Kultur von Staubgefäßen, den haploiden Antheren, die zu Kartoffelpflanzen regeneriert werden, die nur den halben Chromosomensatz enthalten. Dadurch wäre die Fixierung der Heterosis auch über Kartoffelsamen möglich ("True Potato Seed", s. Kap. 2, Frage 6). Durch Reizbestäubung von Solanum tuberosum mit Pollen der diploiden Art Solanum phureja kommt es ebenfalls zur Halbierung der Chromosomensätze.
  3. Genetische Sonden: Wenn man weiß, welche Abschnitte des Kartoffelgenoms für welche Merkmale und Eigenschaften kodieren, kann man bereits auf molekularer Ebene an Sämlingen mit cDNA- Sonden nach den wirtschaftlich interessanten Merkmalskombinationen suchen. Hierdurch erspart man sich viele Jahre mühevoller Selektionsarbeit. Im Rahmen der vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) betriebenen "Genomanalyse im biologischen System Pflanze" (GABI) wird bald auch für das Kartoffelgenom eine vollständige "Genkarte" vorliegen.
  4. Gentransfer: Durch dieses gentechnische Verfahren werden Genabschnitte unleserlich gemacht (s. Kap. 8, Frage 6) oder aus anderen Organismen in das Kartoffelgenom eingefügt (z.B. Resistenzgene aus Wildkartoffeln oder ein Frostschutzgen aus der aktischen Scholle, s. Kap. 2, Frage 47). Da der genetische Code in der Natur universell gültig ist - die Erbsubstanz von Kartoffel, Mensch und Bakterium besteht aus den gleichen Basenpaaren - ist die Übertragung kurzer Sequenzen auch zwischen Tier und Pflanze heute problemlos möglich.
  5. Zell- und Gewebekultur zur Erhaltung und Vermehrung von Kartoffel-Genotypen: siehe Frage 5.

Die Gentechnik wird bereits im nächsten Jahrzehnt nicht nur die Kartoffelzüchtung, sondern die gesamte Pflanzenzüchtung verändern. Der Weg führt zur "Designer-Sorte", d.h., was Erzeuger, Verarbeiter, Handel und Verbraucher an neuen Eigenschaften oder anderen Merkmalskombinationen in der Kartoffel - von der Herbizidresistenz über bestimmte Stärkeformen bis hin zu süßen Chips - wünschen, kann innerhalb weniger Jahre genetisch verwirklicht werden.


*) Colchizin ist ein giftiges Alkaloid der Herbstzeitlose (Colchicum autumnale). Es wird zur Polyploidisierung von Pflanzen verwendet. Einige dihaploide Pflänzchen regulieren ihre Zellen auch spontan (ohne Colchizineinfluß) wieder zur tetraploiden Stufe auf.



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