Kartoffelgeschichte und -Geschichten

58. Wie wurden in "Trizonesien" (in den 3 Westzonen) 1947 Kartoffeln geerntet?

"Auf dem Kartoffelacker ist die Ernte im Gange. Am Fahrweg neben dem Kartoffelacker lagern seit zwei Stunden etwa fünfzig bis sechzig Menschen mit matten und unguten, aber begierigen Gedanken. Es sind Menschen mit reichlich ausgemergelten Stadtgesichtern. Die meisten haben die Hacken neben sich liegen.
Als der Erntetag beendet ist, spannt der Bauer die beiden schweren Pferde vor die Egge. Vier Kartoffelleserinnen hinter der Egge, auf und ab. Er will noch ein zweites Mal das Feld abeggen, da passiert das Abgründige und Unheimliche:
'He', schreit eine Frau von der Hungerbrigade, 'wollt ihr nit en paar liegen lassen?' Es klang drohend. Der Bauer meinte dazu, und das hätte er besser nicht gemeint, das ginge sie gar nichts an.
Als er am Feldweg sein Gespann wenden wollte, faßte ihn die Frau unmißverständlich am Arm, schwang mit der Rechten ihre kurzstielige Hacke über dem Kopf des Bauern und sagte wahrhaftig, sie würde ihm dies Ding in den Kopf schlagen, wenn er ein zweites Mal das Feld nachlesen lasse. Was jetzt noch liege, gehöre ihnen, den Leuten aus der Stadt. Der Bauer wurde weiß. Er zitterte. Mit einem Ruck schüttelte er das Weib ab, riß an der Zügelleine, mehr instinktiv, und die erschreckten Pferde, unruhig geworden, standen plötzlich in dem aufkreischenden Schwarm der Städter. Hätte in diesen Sekunden die Vernunft alle verlassen, dann wäre der Bauer totgeschlagen worden. Der Bruder des Bauern, der vor einem halben Jahr aus dem Ural heimgekehrt war, sprang dazwischen, schirrte die Pferde aus der Egge und sagte zu seinem Bruder: 'Laß sie, sei vernünftig!' Wie ein Rudel gewalttätiger, gieriger Ratten stürzte die Menge nun aufs Feld, zur letzten gründlichen Nachlese.
"

Walter Henkels

Wie angespannt die Ernährunglage 1947 war, beweist auch die "Letzte Warnung an die Landwirte des Kreises M.", die der Landrat an alle Scheunentore anheften ließ:

"Durch wiederholte Bekanntmachungen in zahlreichen Versammlungen ist auf die außerordentlich angespannte Ernährungslage und die Notwendigkeit restloser Ablieferung aller nicht für die Eigenversorgung und die Saat benötigten Mengen an K a r t o f f e l n und G e t r e i d e hingewiesen worden. Jedem Landwirt ist auch bekannt, daß die Landesregierung jetzt Verordnungen zur Sicherung der Ernährung erlassen hat, durch die Ernährungssünder mit Geld-, Gefängnis- und sogar l e b e n s l ä n g l i c h e r Z u c h t h a u s s t r a f e , mit Wegnahme von Vieh, Vermögensbeschlagnahme und Stellung eines Treuhänders bedroht werden.
Wenn bis jetzt, trotz der fortgesetzten häufigen Warnungen, die rechtswidrige und volksschädigende Zurückhaltung vieler Landwirte mit einer gewissen Nachsicht behandelt worden ist, so kann das angesichts der riesenhaft sich entfaltenden Not und drohenden menschlichen Verzweiflung von jetzt ab nicht mehr verantwortet werden.
Jeder Landwirt hat bis zum 15. März 1947 den Nachweis der restlosen Erfüllung seiner Ablieferungsverpflichtung durch Vorlage der Schlußscheine bzw. Belege des Handels, die den Gemeindebürgermeistern abzugeben sind, zu erbringen. Aber auch lagernde Kartoffel- und Getreidevorräte, die nicht dem Eigenverbrauch oder zur Saat dienen und noch nicht erfaßt sind, müssen gemeldet werden.
Darnach wird die Erfüllung der Ablieferungsverpflichtung genauestens überprüft und im Falle schuldhaften Versagens rücksichtslos Strafantrag gestellt werden.
Wer jetzt noch durch schmutzige Schiebergeschäfte die Not vergrößert, kann nicht die kleinste Gnade erwarten. Landwirte! In Eurer Hand liegen die Lose der nächsten Zukunft unseres Landes:
Not oder Rettung
Hungernde Menschen oder versorgte Bevölkerung
Verzweiflung oder Ruhe
Landwirte! Sollen die ehrlichen, pflichttreuen unter Euch büßen müssen, wenn der Nachbar ehrlos und Pflichtvergessen ist? In Eurer Hand, Landwirte, liegt Euer eigenes Schicksal!
"



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