Kartoffelgeschichte und -Geschichten

46. Warum führte der Anbau der Kartoffel schon vor dem Bau der Eisenbahnen zum Niedergang der Wälder?

Etwa von 1740 an begann der Kartoffelanbau überall in Mitteleuropa im großen Stil. Kartoffeln kamen auf jeden Tisch, ihre Abfälle in den Schweinestall. Mehr und mehr der alten Eichen-Weidewälder wurden zu Ackerland. Die Eichelmast der Schweine war nicht mehr wirtschaftlich. So schreibt der Forsthistoriker Karl Alfons Meyer 1931:
"Das Schicksal der Eiche war weitgehend vom Wechsel der Volksnahrungsmittel bestimmt. Tatsächlich ist der Eichenwald den Erdäpfeln gewichen! Der einheimische Baum einem exotischen Kraut!"

Den Zustand des Waldes in der Eifel schildert 1834 Herders Konversationslexikon wie folgt: "Die Waldungen sind größtenteils ausgehauen und der Boden dem Kartoffelbau übergeben worden". Unter preußischer Herrschaft werden ab 1854 die ehemals bewaldeten Kartoffeläcker und Schafhutungen wieder aufgeforstet. Gleichzeitig wird der Lebensstandard der bäuerlichen Bevölkerung durch staatliche Entwicklungshilfe angehoben. Gefördert wurden die "Bodenmelioration" durch Be- und Entwässerung, die Verwendung verbesserten Kartoffelpflanzgutes, die Einrichtung von Molkereien, die Einführung des Dreinutzungsrindes, d.h., Milch-, Fleisch- und Zugleistung in einer Rinderrasse vereint und einer für die Kartoffelmast geeigneten Schweinerasse sowie der Zuerwerb in der Industrie.

Die Hausschweine ähnelten bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Typ den Wildschweinen; sie waren hochbeinig, hatten einen langgestreckten keilförmigen Schädel und waren entsprechend ihrer Haltungsform im Wald (Eichelmast) mit einem dichten Haarkleid bedeckt. Erst nach vier bis fünf Jahren waren sie schlachtreif. Für die Kartoffelmast brauchte man aber ein schnellwüchsiges, für die Stallhaltung geeignetes Schwein. In England hatte man schon um 1800 kleinere frühreife chinesische Rassen in die einheimischen Landschläge eingekreuzt, um den wachsenden Fleischbedarf der Bevölkerung zu decken. Mit Einkreuzung dieser englichen "Edelschweine" wie z.B. den Yorkshires und Berkshires begann man auch in Deutschland, entsprechend der später einsetzenden Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit einer züchterischen Veredelung der Landschläge, die den Typ des Fettschweins hervorbrachte (Deutsches Weißes Edelschwein, Angler-Sattelschwein u.a.). Bedingt durch die frühere Schlachtreife bereits nach einem Jahr, die Ablösung der Eichelmast durch die Kartoffelmast und den Übergang von der Weide- auf die Stallhaltung nahm der Schweinebestand im Deutschen Reich von vier Millionen um 1800 auf über 25 Millionen 1913 zu. Erst kriegsbedingt, durch eine staatlich angeordnete Zwangsschlachtaktion, ging der Schweinebestand 1915 auf 16 Millionen zurück. Man wollte mehr Kartoffeln für den Direktverzehr zur Verfügung haben. Dabei blieb unberücksichtigt, dass im bäuerlichen Betrieb oft nur die Absortierungen in den Schweinetrog wanderten, also Kartoffeln, die nicht marktfähig waren. Die Schlachtaktion führte zu einer Verschwendung von Fleisch, deren Folgen bis in die 1920er Jahre durch eine immer größer werdende Versorgungslücke bei Fleisch und Fett zu spüren waren.

In den 1960er Jahren hat sich die Schweinezucht und -fütterung ein weiteres Mal gewandelt. Der Verbraucher verlangte zunehmend mageres Schweinefleisch. Durch Zuchtauslese und Übergang auf die Getreidemast konnte im Vergleich zur Kartoffelmast die Rückenspeckdicke der Mastschweine (Rassen: Deutsche Landrasse, Pietrain) verringert werden (s. Kap. 3, Frage 4).



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