Kartoffelgeschichte und -Geschichten

19. Wie kam es zur Ausbreitung der Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel?

Der Erreger der Kraut- und Knollenfäule, der Pilz Phytophthora infestans, was soviel heißt wie "der Pflanzenverderber", stammt ebenso wie seine Wirtspflanze, die Kartoffel, aus Südamerika. Vermutlich wurde die Krankheit bereits um 1830 mit Kartoffelknollen aus Chile auf dem Seeweg nach Europa eingeschleppt.

In dieser Zeit wurden die ersten Schiffsladungen von "Kunstdünger", nämlich "Chilesalpeter" (Natriumnitrat) aus der Atacama-Wüste und "Guano" (Kot von Seevögeln auf den chilenischen und peruanischen Inseln), in die USA und nach Europa gebracht und mit ihnen auch chilenische Kartoffelknollen, die von dem Pilz befallen waren. Ausgehend von den Seehäfen verbreitete sich die Krankheit in wenigen Jahren in ganz Europa. Mit der Ausdehnung des Kartoffelbaus war die Hoffnung verbunden gewesen, endlich Hungersnöte vermeiden zu können. Und nun kam es zu einem Rückschlag. Tausende von Hungertoten forderte die Krankheit in den Jahren nach1844 in Europa.

Das befallene Kartoffelkraut verfaulte regelrecht auf den Feldern, während die infizierten Knollen zunächst noch ganz ansehnlich waren. Sie entwickelten dann später im Lager die sogenannte Braunfäule und zersetzten sich zu einer breiigen stinkenden Masse. 1847 hatte die belgische Mykologin Marie-Anne L i b e r t (1782-1865) schon entdeckt, dass es sich um einen Pilz handelte. Man nahm aber an, dass die Krankheit der Kartoffel den Pilz erzeugt, nicht umgekehrt; denn die damals vorherrschende Meinung der "romantischen Naturphilosophen" war, dass sich phytopathogene Pilze aus "stockendem Pflanzensaft" entwickeln. Auch Justus von Liebig (1803-73), der Begründer der Mineralstofftheorie der Pflanzenernährung, war noch der Meinung gewesen, die Krautfäule der Kartoffel sei die Folge, nicht die Ursache des langsamen Todes der Pflanze.

Erst der Arzt und Botaniker Heinrich Anton d e B a r y (1831-88), Professor in Freiburg und Direktor des Botanischen Gartens, konnte 1861 in seiner Arbeit "Die Kartoffelkrankheit, deren Ursachen und Verhütung" den Wirkungsmechanismus von Phytophthora infestans darstellen. Mit seinen bahnbrechenden Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Pflanzenkrankheiten legte er zugleich den Grundstein zu ihrer Bekämpfung. Kupferkalkbrühe (hergestellt aus Kupfervitriol und Kalk) war das erste Pflanzenschutzmittel, das ab 1887 großflächig gegen die Kartoffelkrautfäule eingesetzt wurde. Als "Bordeaux-Brühe" war es bereits seit 1882 in Südfrankreich erfolgreich gegen den Falschen Rebenmehltau (Plasmopara viticola) eingesetzt worden.

Erst ab 1858 wurde es allmählich mit den Kartoffelernten wieder besser. "Eines Frühjahrs", so be-richtet der Bauer Friedrich Gerling, "kam ein mit Kartoffeln beladenes Schiff Weser- aufwärts und hielt bei jedem Ort. Es wurden Pflanzkartoffeln, auch in kleineren Mengen verkauft. Diese sollten widerstandsfähiger gegen die Kartoffelkrankheit sein. Es waren runde, dicke Knollen mit roter Haut, Heidelberger genannt." Diese Sorte war aufgrund ihrer Frühreife weniger befallsgefährdet. Die spätreifen, wesentlich schmackhafteren "Bauernsorten" aus der Zeit vor 1845 sind durch die Krautfäule erloschen.

Die Verbreitung der Blattkrankheiten an Kartoffeln und Weinreben, die von Pilzen aus der Familie der Oomyzeten hervorgerufen werden, also biologisch sehr nah miteinander verwandt sind, veranlasste den Karikaturisten Honoré Daumier (1808-79), eine Lithographie anzufertigen, auf der ein verzweifelter Bürger mit eingefallenen Wangen mit Blick auf die verfaulten Kartoffeln und Weintrauben ausruft: "... es ist recht sonderbar, dass auch die Trauben von der Krankheit der Kartoffeln befallen sind." Er fühlt, dass er für lange Zeit nicht mehr satt von Kartoffeln und selig vom Wein sein wird.

Heute gelingt es, den Krautfäulebefall bei Kartoffeln und Reben rechtzeitig durch die Auswertung von Witterungsaufzeichnungen vorherzusagen und die Epidemie schon im Frühstadium mit wirksamen organischen Kontakt- und systemischen Fungiziden zu unterdrücken (s. Kap. 2, Frage 46).



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