Kartoffelgeschichte und -Geschichten

14. Was war der unmittelbare Anlass zur Eingliederung der Kartoffel in die Mahlzeiten?

Anlass war die Getreidemißernte 1771, als in vielen Teilen Deutschlands, vor allem in Bayern und Württemberg, durch die neue Kulturpflanze eine allgemeine Hungersnot abgewendet werden konnte.

Selbst in den fruchtbaren Gäu- und Bördengebieten waren waren in jenem Jahr die Getreideerträge so gering, dass sie nicht einmal mehr zur Neuaussaat reichten.

Trotzdem standen in Süddeutschland die Mehlspeisen den Kartoffelgerichten noch längere Zeit entgegen als in Norddeutschland. Wegen der steigenden Getreidepreise wurden aber Getreide und Getreideprodukte bei den ärmeren Bevölkerungsgruppen eher durch Weißkohl ersetzt - daher die Bezeichnung der Deutschen im Englischen als "krauts"-, als durch die noch unbeliebte Kartoffel. So berichtet der Berliner Schriftsteller und Buchhändler Friedrich Nicolai (1733-1811), der für die gründliche Kenntnis der Zeitströmungen bekannt war, von einer Reise durch Deutschland 1785: "Ein Baier führte es mir als Vorzug seines Landes an, dass der Bauer zwar daselbst Kartoffeln pflanze, aber sich zu gut halte, dieselben zu essen, sondern bloß die Schweine damit füttere".

Um 1750 pflanzte man in Deutschland Kartoffeln noch überwiegend in Gärten und auf kleinen Bracheflächen. Zwischen 1760 und 1790 begünstigten die schlechten klimatischen Verhältnisse die Kartoffel gegenüber dem Getreide. Gerade im höheren Mittelgebirge war die Kartoffel dem Getreide, entsprechend ihrer Herkunft aus den Hochanden überlegen.

In dem Hungerjahr 1816, dem Jahr ohne Sommer, verfaulten allerdings auch die Kartoffeln im Boden. Ursache für die weltweite Abkühlung und den Dauerregen war der größte Vulkanausbruch in historischer Zeit, des Tambora auf Sumbawa, einer der kleinen Sundainseln (Indonesien) im Jahre 1815, der ein Magmavolumen von rd. 90 km³ ausschleuderte. Die letzte nicht politisch bedingte Hungersnot traf Deutschland 1847 infolge des Ausfalls der Kartoffelernte durch die erstmals in Deutschland aufgetretene Krautfäule. Sie war Auslöser der bürgerlichen Märzrevolution von 1848 (s. Frage 20).

Man sieht, wie schnell die Kartoffel als Grundnahrungsmittel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen hatte und ihr Mangel bei einem Ernteausfall zu ebensolchen Hungersnöten führte, wie dies früher nur bei Getreidemissernten der Fall war. Während um 1800 erst 8 % der Kalorien in der menschlichen Nahrung aus Kartoffeln stammten, waren es um 1850 bereits 28 %. Heute liegt der Anteil der Kartoffel an den Nahrungskalorien nur noch bei etwa 5 %.



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